Stille Reserven in Kapitalgesellschaftsanteilen
Teil 2
A - Rück-Korrekturtatbestände, „Erleichterungs“-Tatbestände
1 . Fallgruppe: Nachfolgende tatsächliche Veräußerung
§ 6 I 5 AStG 2006 | § 6 Abs. 1 Satz 3 AStG 2022 |
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Veräußerung wird um die bereits besteuerten stillen Reserven gekürzt. | Gemeine Wert = AK für die Beteiligung, soweit Steuer entrichtet |
Anrechnung des besteuerten Vermögenszuwachses abzüglich Freibeträge | |
Anrechnungsüberhang mit anderen Einkünften verrechenbar |
Veräußert der Wegzügler seine Kapitalgesellschaftsbeteiligung nach seinem Wegzug, besteuert Deutschland gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 lit. e) EStG im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht den erzielten Veräußerungsgewinn.
Regelmäßig weisen jedoch die Bestimmungen bestehender DBA das Besteuerungsrecht für die Veräußerung der Anteile dem Wohnsitzstaat zu (vgl. Art. 13 Abs. 5 OECD-MA). Sofern in diesen Fällen der neue Wohnsitzstaat bei der Berechnung des steuerpflichtigen Veräußerungsgewinns nicht den Wert der Kapitalgesellschaftsbeteiligung im Zeitpunkt des Grenzübertritts, sondern die historischen Anschaffungskosten ansetzt, kommt es zu einer doppelten Besteuerung der bis zum Wegzug entstandenen stillen Reserven (eingehend zur Problematik der Doppelbesteuerung siehe nachfolgend unter E.).
Falls kein DBA das deutsche Besteuerungsrecht ausschließt, erfasst § 49 Abs. 1 Nr. 2 lit. e) EStG die gesamten stillen Reserven.
Regelung bis VZ 2021:
Zur Vermeidung einer doppelten Besteuerung des fiktiven Veräußerungsgewinns nach § 6 AStG und des tatsächlichen Veräußerungsgewinns nach § 49 EStG war bis einschließlich VZ 2021 nach § 6 Abs. 1 Satz 5 AStG 2007 der erzielte tatsächliche Veräußerungsgewinn um die bereits besteuerten stillen Reserven zu kürzen. Angerechnet wurde der nach Satz 1 besteuerte Vermögenszuwachs abzüglich Freibeträge. Ein Anrechnungsüberhang (Anrechnungsüberhang) konnte mit anderen Einkünften verrechnet werden. [1]
Gem. § 6 Abs. 6 Satz 1 AStG 2007 ist der Steuerbescheid zu korrigieren, wenn im Fall des Widerrufs einer EU-/EWR-Stundung gemäß Absatzes 5 Satz 4 Nr. 1 AStG der Veräußerungsgewinn im Sinne des § 17 Abs. 2 EStG im Zeitpunkt der Beendigung der Stundung niedriger ist als der Vermögenszuwachs nach Absatz 1 und die Wertminderung bei der Einkommensbesteuerung durch den Zuzugsstaat nicht berücksichtigt wird. Die Veräußerung zu einem niedrigeren Wert als dem Teilwert bei Wegzug ist ein rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 2 AO. Der Steuerpflichtige muss nachweisen, dass die Wertminderung betrieblich veranlasst ist und nicht auf eine gesellschaftsrechtliche Maßnahme, insbesondere eine Gewinnausschüttung, zurückzuführen ist (§ 6 Abs. 6 Satz 2 AStG). Die Wertminderung ist höchstens im Umfang des Vermögenszuwachses nach Absatz 1 zu berücksichtigen (§ 6 Abs. 6 Satz 3 AStG). Weitere Voraussetzung ist, dass die Wertminderung im Zuzugsstaat nicht berücksichtigt wird. Nach Auffassung FG Münster [2] setzt § 6 Abs. 6 Satz 1 AStG voraus, dass jedenfalls eine Berücksichtigung des Verlustes im Zuzugsstaat erfolglos beantragt worden sein muss. Dies sei nicht der Fall, wenn der Steuerpflichtige mangels Pflichtveranlagung keine Steuererklärung abgebe, und zwar auch dann nicht, wenn er keine abgeben müsse.
Regelung ab VZ 2022:
Ab VZ 2022 findet keine Kürzung des Veräußerungsgewinns mehr statt. Stattdessen gilt der gemeine Wert (fiktiver Veräußerungspreis) als Anschaffungskosten der Beteiligung (Step-Up), soweit die auf den Veräußerungsgewinn entfallene Steuer tatsächlich gezahlt worden ist, § 6 Abs. 1 Satz 3 AStG 2022.
Ist der Veräußerungspreis niedriger als der gemeine Wert bei Wegzug, hat dies auf die Wegzugsbesteuerung keinen Einfluss.
2. Fallgruppe: Vorübergehende Abwesenheit
§ 6 III 1 AStG 2007 | § 6 III 1 AStG 2022 |
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Rückkehr nach 5 Jahren | Rückkehr nach 7 Jahren |
Anteile weder veräußert noch in eine BV eingelegt. | = |
Rückkehrabsicht FG Münster v. 31.10.2019, 1 K 3448/17E | = |
Keine Gewinnausschüttung oder Einlagenrückgewähr > 25% des gemeinen Wertes | |
Besteuerungsanspruch wie vor Wegzug | |
Verlängerung von 5 Jahren bei beruflichen Gründen | = |
§ 6 Abs. 3 AStG lässt unter den näher bestimmten Rückkehrvoraussetzungen die Steuerpflicht rückwirkend entfallen. Sinn der Regelung ist, nur die Wegzugsfälle endgültig zu besteuern, in denen der Steuerpflichtige endgültig aus der unbeschränkten Steuerpflicht ausscheidet. [3] Der Gesetzgeber trägt damit dem Mobilitätsbedürfnis Rechnung.
Nach § 6 Abs. 3 Satz 1 AStG entfällt der Steueranspruch rückwirkend, wenn
- der Steuerpflichtige binnen (bis VZ 2021) fünf/(ab VZ 2022) sieben Jahren nach Wegzug in Deutschland wieder unbeschränkt steuerpflichtig wird und
- soweit die Anteile in der Zwischenzeit weder veräußert, übertragen noch in ein Betriebsvermögen eingelegt wurden. Erfolgt die Übertragung von Todes wegen und wird der Rechtsnachfolger innerhalb der Zeiträume unbeschränkt steuerpflichtig, ist die Übertragung „unbeachtlich“. Das soll heißen, dass hinsichtlich der persönlichen Voraussetzungen für den rückwirkenden Wegfall der Steuerpflicht auf den Rechtsnachfolger abzustellen ist.
Weitere sachliche (anteilbezogene) Voraussetzungen ab VZ 2022 sind, dass
- keine Gewinnausschüttungen oder keine Einlagenrückgewähr erfolgt sind, deren gemeiner Wert insgesamt mehr als ein Viertel des Werts im Sinne des Absatzes 1 beträgt, und
- das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile mindestens in dem Umfang wieder begründet wird, wie es im Zeitpunkt der Beendigung der Steuerpflicht bestand.
Eine Gewinnausschüttung von 25% oder mehr des gemeines Wertes bei Wegzug führt ab VZ 2022 zu einer Festschreibung der Wegzugssteuer, und zwar auch dann, wenn der Wegzug vor VZ 2022 stattfand.
Der Gesetzgeber möchte durch diese Regelung u.a. verhindern, dass der Steuerpflichtige ins Ausland zieht, dort eine ggf. bestehende Präferenzregelung für Gewinnausschüttungen in Anspruch nimmt und mit dadurch wertgeminderten Anteilen wieder nach Deutschland zurückkehrt.
Ferner muss nach Nr. 3 das deutsche Besteuerungsrecht im ursprünglichen „Umfang“ wiederhergestellt werden. „Umfang“ bezieht sich hier auf das Besteuerungsrecht, nicht auf die Höhe der stillen Reserven im Zeitpunkt des Wegzugs.
Umstritten ist, ob der Steueranspruch nur dann entfällt, wenn im Zeitpunkt des Wegzugs die feste Absicht des Steuerpflichtigen zur Rückkehr bestand.
Fallbeispiel BFH
Die Frage, ob eine subjektive Rückkehrabsicht im Zeitpunkt des Wegzugs Voraussetzung für den rückwirkenden Wegfall der Steuer gemäß § 6 Abs. 3 S. 1 AStG ist, war lange Zeit umstritten. Der BFH hat nunmehr klargestellt, dass das zum Entfallen der Wegzugsbesteuerung führende Merkmal der „nur vorübergehenden Abwesenheit“ in § 6 Abs. 3 S. 1 AStG unabhängig von einer „Rückkehrabsicht“ erfüllt ist, wenn der Steuerpflichtige innerhalb des gesetzlich bestimmten Zeitrahmens von fünf Jahren nach dem Wegzug wieder unbeschränkt steuerpflichtig wird. [4] Der BFH folgt damit der bereits im Schrifttum vertretenen objektiven Theorie, wonach allein entscheidend sei, ob der Steuerpflichtige innerhalb der entsprechenden Frist wieder unbeschränkt steuerpflichtig wird. [5] Dagegen ist nach der subjektiven Theorie zusätzlich ein Rückkehrwille des Steuerpflichtigen im Zeitpunkt des Wegzugs erforderlich. [6] Das FG Münster hat in der Vorinstanz sich noch der subjektiven Theorie angeschlossen. Für ein Entfallen des Steueranspruchs sei neben der (objektiven) Wiederbegründung der unbeschränkten Steuerpflicht auch erforderlich, dass glaubhaft gemacht werde, dass bereits bei Wegzug (subjektiv) der Wille zur Rückkehr bestand. [7] Die Vorschrift gelte nicht für gescheiterte oder „abgebrochene“ Auswanderungen. Die Absicht zur Wiederbegründung der unbeschränkten Steuerpflicht müsse zwar nicht bereits bei Wegzug angezeigt werden, sondern könne auch erst bei Rückkehr glaubhaft gemacht werden. Das FG Münster folgt damit der Finanzverwaltung. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Finanzverwaltung dem BFH anschließen wird. Bis dahin bleibt es bei der Praxisempfehlung, in Wegzugsfällen vorsorglich Beweisvorsorge für die Rückkehrabsicht zu betreiben.
Nach § 6 Abs. 3 Satz 2 AStG 2007 bzw. § 6 Abs. 3 Satz 3 AStG 2022 kann die Fünfjahresfrist auf Antrag durch das Finanzamt um maximal weitere fünf Jahre verlängert werden. Dafür muss der Steuerpflichtige glaubhaft machen, dass berufliche Gründe für die Abwesenheit maßgebend sind und unverändert eine Rückkehrabsicht besteht.
Ohne zeitliche Beschränkung entfällt nach § 6 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 AStG 2007 der Steueranspruch rückwirkend in EU-Fällen, wenn Steuer nach § 6 Abs. 5 AStG 2007 gestundet ist. Dies gilt auch, wenn die Rückkehr nach dem 1.1.2021 erfolgt (§ 21 Abs. 2 AStG 2022).
3. Fallgruppe: Rechtsnachfolger begründet unbeschränkte Steuerpflicht
Erwerber/Rechtsnachfolger ist... | § 6 III AStG 2007 | § 6 III AStG 2022 |
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Rückwirkender Wegfall der Besteuerung durch Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht? | ||
Ansässig im Drittstaat, Erwerb durch Schenkung | Nein | Ja, 7 Jahre |
Ansässig im Drittstaat, Erwerb von Todes wegen | Ja, 5 Jahre | |
Ansässig in EU, Erwerb durch Schenkung | Ja, ohne zeitliche Begrenzung | |
Ansässig in EU, Erwerb von Todes wegen | ||
Zusätzliche Voraussetzungen | Keine Gewinnausschüttung oder Einlagenrückgewähr > 25 % des gemeinen Wertes | |
Besteuerungsanspruch wie vor Wegzug |
Im Fall der unentgeltlichen Übertragung im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AStG 2022 auf eine nicht unbeschränkt steuerpflichtige Person entfällt die Steuer rückwirkend, wenn der Rechtsnachfolger eine natürliche Person ist und diese Person innerhalb von sieben Jahren seit der Übertragung unbeschränkt steuerpflichtig wird, § 6 Abs. 3 Satz 5 AStG 2022. Die sachlichen (anteilsbezogenen) Voraussetzungen gelten auch hier.
Bis VZ 2021 war der persönliche Anwendungsbereich enger. Der Steueranspruch entfiel nur dann, wenn der Rückkehrer die Anteile zuvor von Todes wegen erworben hatte, § 6 Abs. 3 Satz 3 AStG 2007.
4. Fallgruppe: Rückkehr bei allgemeiner Entstrickung (ab VZ 2022)
Beruht der Ausschluss des Besteuerungsrechts im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AStG 2022 (allgemeine Entstrickung) auf einer nur vorübergehenden Abwesenheit des Steuerpflichtigen, entfällt der Steueranspruch rückwirkend, wenn der Steuerpflichtige zurückkehrt und dadurch der Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts beseitigt wird, § 6 Abs. 3 Satz 4 AStG 2022. Die sachlichen (anteilsbezogenen) Voraussetzungen gelten ebenfalls.
Die Regelung ist misslungen, weil sie tatbestandlich auf die vorübergehende Abwesenheit des Steuerpflichtigen abstellt. Diese Verkürzung des Rückkehrprivilegs macht beim allgemeinen Entstrickungstatbestand keinen Sinn, weil hierdurch die Fälle der passiven Entstrickung nicht erfasst werden. Richtigerweise müsste der Tatbestand allein darauf abstellen, dass das deutsche Besteuerungsrecht an den Anteilen wieder vollständig begründet wird. Wird beispielsweise das deutsche Besteuerungsrecht durch passive Entstrickung ausgeschlossen und später durch passive Verstrickung wieder neu begründet, bleibt nach dem Wortlaut der Steueranspruch bestehen.
Das Gleiche gilt für Fälle der aktiven Entstrickung und der aktiven Verstrickung.
Fallbeispiel 12
Teil 3
G - Probleme der Doppelbesteuerung
H - Möglichkeiten zur Vermeidung der Wegzugsbesteuerung
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