Grundlagen
Das Thema „Wegzugsbesteuerung“ befasst sich mit den steuerlichen Konsequenzen
- des Wegzugs von natürlichen Personen,
- der Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften und
- der Verlagerung von Betrieben/Betriebsstätten
vom Inland ins Ausland. Im weiteren Sinne gehören hierzu auch die grenzüberschreitende Verlagerung von einzelnen Wirtschaftsgütern (§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG) und Funktionen (§ 1 Abs. 3 Satz 9 AStG) in eine ausländische Betriebsstätte oder Tochtergesellschaft.
Die Motive für einen Wohnsitzwechsel ins Ausland sind in der Regel vielschichtig.[1] In der Praxis sind die steuerlichen Folgen von Wegzug und Sitzverlegung sehr häufig Beratungsgegenstand. Bevorzugte Zuzugsstaaten sind heute vor allem solche, die einen hohem Lebensstandard und ein bevorzugtes Besteuerungsregime aufweisen, z.B. Schweiz (wegen pauschaler Aufwandsbesteuerung [teilweise mittlerweile abgeschafft[2]], keiner oder geringer Erbschaftsteuer, örtlicher Nähe zu Deutschland, Sprache, Kultur), Österreich (wegen Halbsatzbesteuerung von Kapitaleinkünften, Abschaffung der Erbschaftsteuer, örtlicher Nähe zu Deutschland, Sprache, Kultur) oder Großbritannien (wegen remittance basis taxation).
Prominente Wegzugsfälle vermitteln in der Öffentlichkeit den Eindruck, dass sich vor allem reiche Deutsche durch Wegzug der deutschen Besteuerung entziehen könnten. Tatsächlich finden rein steuerlich motivierte Wegzüge eher selten statt, wenn man dem Mandanten die Voraussetzungen und Konsequenzen eines Wegzugs sowohl in steuerlicher Hinsicht als auch im Hinblick auf die persönliche Lebensführung aufzeigt. Außerdem ist der wegzugsbedingte Steuerspareffekt oft beschränkt (wegen verbleibender beschränkter Steuerpflicht im Inland) oder tritt – wenn überhaupt – erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung (z.B. bei der Erbschaftsteuer) ein.
Grenzüberschreitende Bewegungen eines Steuersubjektes gehen in der Regel mit einer Verlagerung von Einkünften und Einkunftsquellen einher, die sich zu Lasten des Wegzugsstaates und zugunsten des Zuzugsstaates auswirken. Ein Steuerzugriff des deutschen Fiskus ist nur dann noch möglich, wenn er im Inland verbleibende Einkunftsquellen unter den Voraussetzungen der beschränkten Steuerpflicht (§ 49 EStG, § 2 AStG) besteuern darf oder im Zeitpunkt des Wegzugs auf bislang nicht realisierte, steuerverstrickte Wertsteigerungen zugreift. Mit Wegzugsbesteuerung verbindet man gemeinhin den letzten Punkt: Der Fiskus nimmt den Wegzug zum Anlass, stille Reserven im Vermögen des Wegziehenden zu besteuern (Schlussbesteuerung). Der Zugriff des Fiskus im Zeitpunkt des Wegzugs auf nicht realisierte Wertsteigerungen kann als Wegzugsbesteuerung im engeren Sinne (i. e. S.) bezeichnet werden, weil allein der Wegzug ins Ausland steuerauslösendes Tatbestandsmerkmal ist. Die einschlägigen steuerlichen Rechtsgrundlagen wurden zuletzt 2006 durch das „Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Aktiengesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften“ (SEStEG) wesentlich geändert. Grund für die Neuregelung der Rechtsgrundlagen waren zwei Punkte: Erstens sollen grenzüberschreitende Umwandlungen steuerneutral ermöglicht werden, sofern das deutsche Besteuerungsrecht nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird, zweitens soll die außensteuerrechtliche Regelung zur Wegzugsbesteuerung natürlicher Personen (§ 6 AStG) an die Vorgaben des EuGH in der Rechtssache „Lasteyrie du Saillant“ angepasst werden. Betroffen von der Wegzugsbesteuerung i. e. S. sind nach deutschem Steuerrecht Wertsteigerungen
- in Anteilen an inländischen Kapitalgesellschaften (§ 6 AStG),
- in Anteilen, welche zu einem Wert unter dem gemeinen Wert eingebracht worden sind, (§ 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 UmwStG) sowie
- im Betriebsvermögen, sofern es durch den Wegzug ins Ausland verlagert und dadurch dem deutschen Steuerzugriff entzogen wird (§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, § 12 Abs. 1 KStG; früher: finale Entstrickungslehre). Auch die Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach § 1 Abs. 3 Sätze 8 ff. AStG gehören hierzu. Die Besteuerung des Gewinnpotentials anlässlich einer sog. Funktionsverlagerung wirkt wie eine Wegzugsbesteuerung, auch wenn sie steuersystematisch als Verrechnungspreiskorrektur verortet ist.
Die Besteuerung von nicht realisierten Wertsteigerungen anlässlich des Wegzugs ist nicht die einzige steuerliche Folge, die zu berücksichtigen ist. Zur Wegzugsbesteuerung im weiteren Sinne (i. w. S.) gehören
- im Wegzugsjahr die besonderen Regeln zur Abschnittsbesteuerung und zum Tarif (§§ 2 Abs. 7 Satz 3 EStG, 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG) sowie
nach dem Wegzug ggf. die Regeln zur beschränkten Steuerpflicht nach Maßgabe des nationalen Rechts (§ 49 EStG, § 2 AStG, DBA).
[1] Vgl. zur Motivation Ostertun, in: Ostertun/Reimer, Wegzugsbesteuerung/Weg-zugsberatung, 2007, § 1, Rn. 1 ff.
[2] Im Kanton Zürich seit 01.01.2010 abgeschafft; diesem Beispiel folgend: Basel-Stadt (in Kraft ab: 01.01.2014), Basel-Landschaft, Appenzell Ausserrhoden (01.03.2013), Schaffhausen (01.01.2012).
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