Editorial

Wissen aus dem Maschinenraum der PlattesGroup: 
Das XXL-Monster "Wegzugssteuer" 

Mobilität und staatlicher Steueranspruch

AUSWANDERN und die deutsche
WEGZUGSSTEUER

Staaten bekennen sich zur Globalisierung und garantieren innerhalb der EU ihren Bürgern Freizügigkeit, u.a. in Gestalt der Niederlassungsfreiheit. Internationale Mobilität ist nicht nur wirtschaftlich notwendig, sie ist auch politisch gewünscht und innerhalb der EU durch die Niederlassungsfreiheit sogar rechtlich abgesichert. Dies gilt für die Mobilität aus beruflichen Gründen ebenso wie aus privaten Gründen. Tangiert die Mobilität aber den staatlichen Steueranspruch, versteht der Fiskus keinen Spaß. Die guten Rechtsgrundsätze sind vergessen. Viele Staaten nehmen den Wegzug ihrer Bürger zum Anlass, eine Wegzugsbesteuerung durchzuführen (Exit Tax). Wer wegziehen will, steht vor der staatlichen Steuermauer. Wer aus Deutschland ins Ausland zieht, ist als Inhaber von Anteilen an Kapitalgesellschaften grundsätzlich betroffen. In Ausnahmefällen gilt dies auch für Gesellschafter von Personengesellschaften oder Inhaber von Betrieben. Die Steuer zielt also auf die unternehmerischen Leistungsträger unserer Gesellschaft. 

Dieser Wegweiser beruht auf meinen Vorlesungsskripten, die in den letzten 20 Jahren im Rahmen der Fortbildung von Postgraduierten an der Universität Hamburg sukzessive entwickelt habe. Sie sind die Arbeitsunterlage für Steuerberater und Rechtsanwälte, die an der Universität Hamburg den Master of International Tax Studiengang (M.I.Tax) absolvieren. Prof. Dr. Frotscher hat diesen Studiengang vor über 20 Jahren ins Leben gerufen und leitet ihn noch heute. 

Der Wegweiser ist auf dem Rechtsstand Juni 2023. Er vermittelt bis ins Detail die erforderlichen Rechtskenntnisse im Zusammenhang mit der steuerlichen Ansässigkeit in Deutschland, dem Wegzug ins Ausland und dessen Steuerfolgen und deren Vermeidung. Der Schwerpunkt liegt auf den Steuerfolgen von Wegzüglern, die mehr als 1% Anteile an inländischen oder ausländischen Kapitalgesellschaften halten. Den Wegzug setzt der Gesetzgeber mit allen Konsequenzen einer Veräußerung gleich. Die Besteuerung des Wegzugs ist daher die Besteuerung eines Gewinns aus der (fiktiven) Veräußerung eines Kapitalgesellschaftsanteils. Mit anderen Worten nimmt der Gesetzgeber den Wegzug zum Anlass, die stillen Reserven des Unternehmens zu besteuern, ohne dass dem Wegzügler zur Steuerzahlung erforderliche Liquidität zufließt.

Waren die Steuerfolgen eines Wegzugs innerhalb der EU bis 2021 hinnehmbar, da der Gesetzgeber in diesen Fällen die Steuer zinslos und ohne Sicherheitsleistung stundete, gilt dieses EU-Privileg für Wegzüge ab 2022 nicht mehr. Die neue Gesetzgebung ist ein großes Ärgernis und ein Rückschritt für die europäische Integration. Das EU-Privileg wurde im Jahr 2006 vom Gesetzgeber geschaffen, um dem Gebot der Niederlassungsfreiheit Rechnung zu tragen. Die heutige Begründung des Gesetzgebers, die nunmehr ab 2022 wirkende Verschärfung sei eine Umsetzung der europäischen ATAD-Richtlinie (Anti-Tax-Avoidance Directive), ist in diesem Zusammenhang – höflich ausgedrückt – euphemistisch, da nach der Richtlinie eine Verschärfung nicht geboten war.

Fazit: Ist das Kind in den Brunnen gefallen, ist die Rückkehr nach Deutschland u.U. die letzte Möglichkeit, die Steuer rückwirkend zu beseitigen. Denn die Rückkehr binnen 7 Jahren lässt die Wegzugssteuer rückwirkend entfallen. Besser als Scherben aufzukehren ist es, die Wegzugsbesteuerung durch vorausschauende Planung zu vermeiden. Die hier veröffentlichte Schrift stellt die Fallstricke bis ins Detail dar. 

Ich danke Willi Plattes für seinen Input und dass er die Informationen über seine Plattform öffentlich zugänglich macht. 

Prof. Dr. Christian Jahndorf, Rechtsanwalt

Vermeidung eines  Großschadensereignisses

Dipl. Kfm. Willi Plattes

Zahlreiche Unternehmer und Leistungsträger sind bereits aus Deutschland ausgewandert – oder denken ernsthaft darüber nach. Um aber zu verhindern, dass die Auswanderung zu einem fiskalischen Großschadensereignis führt, haben wir uns entschieden, die sehr komplexen steuer- und zivilrechtlichen Implikationen in Deutschland ausführlich zu beschreiben. Dabei wird die hochwertige steuerrechtliche Expertise von Prof. Dr. Christian Jahndorf mit unseren langjährigen Erfahrungen beim „Rütteltest der Praxis“ ergänzt. 

Dass sich viele intensiv mit dem Thema Auswandern auseinandersetzen, wissen wir aus zahlreichen Gesprächen mit Vertretern des deutschen Mittelstands. Dieser ist nicht nur systemrelevant, sondern vielmehr das tragende System in Deutschland – eine äußerst effiziente wirtschaftliche Galaxie mit einem vitalen Ökosystem. Für dieses Ökosystem gelten jedoch auch die Marktgesetze: Ein Kunde, der mit der Leistung seines Dienstleisters unzufrieden ist, nutzt den bestehenden Wettbewerb und wechselt den Anbieter. In unserer globalisierten Welt gelten diese Marktgesetze auch für Volkswirtschaften und ihre politischen Rahmenbedingungen. Da ist es nur logisch, dass infolge einer zunehmenden Unzufriedenheit mit den politischen Entwicklungen in Deutschland immer häufiger über einen Wechsel des "politischen Dienstleisters" nachgedacht wird – in Form von Auswanderung.

Der kluge und umsichtige Unternehmer beobachtet bei der Frage nach künftigen Investitionen nicht nur die Ereignisse in Europa, sondern auch die Entwicklungen in den Zukunftsmärkten im indopazifischen Raum und in Amerika sowie natürlich die aktuellen Verwerfungen in der globalen Geopolitik. Die Ereignisse überschlagen sich: Trump, Brexit, Corona, Klimawandel und der Ukrainekrieg hinterlassen den Eindruck eines kaum zu bewältigenden Chaos, einer Eskalationsspirale, die nicht enden will.  

Daneben entwickelt sich eine tektonische Plattenverschiebung in unserem westlich-liberalen Gesellschaftsmodell. Mit seiner Marktwirtschaft, seinem Rechtsstaat und seiner Zivilgesellschaft sollte sich dieses Modell überall verbreiten und dafür sorgen, dass Staaten bei der Lösung von politischen, gesellschaftlichen oder technischen Problemen international zusammenarbeiten. Nunmehr bringt sich aber China als eine Systemalternative in Stellung, als Kombination aus Kapitalismus, starkem Staat und konfuzianischer Tradition. Die Zahlen sprechen Bände: Drei Viertel der Menschheit leben aktuell in einer Autokratie. Die G7-Staaten repräsentieren mittlerweile nur noch rund 50 Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts, Tendenz: weiter sinkend.

Fazit: Die weltgesellschaftliche Entwicklung, die vor unseren Augen abläuft, ist komplizierter geworden. Der Westen und das liberale Denken sind nicht mehr „the only game in town“, sondern ein Konfliktakteur unter mehreren, der zudem zunehmend an Einfluss verliert. Viele fragen sich, ob das der Beginn eines neuen Kalten Krieges sei und sich die ideologischen Blöcke künftig feindselig bis hin zur Vernichtungsgefahr gegenüberstehen könnten. 

Die Mittelstandsunternehmer sind sich bewusst, dass es derzeit keine eindeutige Lösung gibt. Es gibt aber sehr wohl den Anspruch auf eine faktenbasierte und ideologiefreie Analyse. Und die daraus resultierende aktuell beste Lösung muss dann diskutiert und auch umgesetzt werden. 

Wir wünschen Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre. 
Dipl. Kfm. Willi Plattes, Asesor Fiscal (Steuerberater)

Grundlagen

Das Thema „Wegzugsbesteuerung“ befasst sich mit den steuerlichen Konsequenzen

  • des Wegzugs von natürlichen Personen,
  • der Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften und
  • der Verlagerung von Betrieben/Betriebsstätten

vom Inland ins Ausland. Im weiteren Sinne gehören hierzu auch die grenzüberschreitende Verlagerung von einzelnen Wirtschaftsgütern (§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG) und Funktionen (§ 1 Abs. 3 Satz 9 AStG) in eine ausländische Betriebsstätte oder Tochtergesellschaft.

Die Motive für einen Wohnsitzwechsel ins Ausland sind in der Regel vielschichtig. [1] In der Praxis sind die steuerlichen Folgen von Wegzug und Sitzverlegung sehr häufig Be­ra­tungs­ge­gen­stand. Bevorzugte Zuzugsstaaten sind heute vor allem solche, die einen hohem Lebensstandard und ein bevorzugtes Besteuerungsregime aufweisen. Wir haben  nachhaltige Kenntnisse und ein entsprechendes Netzwerk in den Zuzugsländern Schweiz, Österreich, Großbritannien, Spanien, Italien, Saudi-Arabien, Dubai  und den USA.

Prominente Wegzugsfälle vermitteln in der Öffentlichkeit den Eindruck, dass sich vor allem reiche Deutsche durch Wegzug der deutschen Besteuerung entziehen könnten. Tatsächlich finden rein steuerlich motivierte Wegzüge eher selten statt, wenn man dem Mandanten die Voraussetzungen und Konsequenzen eines Wegzugs sowohl in steuerlicher Hinsicht als auch im Hinblick auf die persönliche Lebensführung aufzeigt. Außerdem ist der wegzugsbedingte Steuerspareffekt oft beschränkt (wegen verbleibender beschränkter Steuerpflicht im Inland) oder tritt – wenn überhaupt – erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung (z.B. bei der Erbschaftsteuer) ein.  

Grenzüberschreitende Bewegungen eines Steuersubjektes gehen in der Regel mit einer Verlagerung von Einkünften und Einkunftsquellen einher, die sich zu Lasten des Wegzugsstaates und zugunsten des Zuzugsstaates auswirken. Ein Steuerzugriff des deutschen Fiskus ist nur dann noch möglich, wenn er im Inland verbleibende Einkunftsquellen unter den Voraussetzungen der beschränkten Steuerpflicht (§ 49 EStG, § 2 AStG) besteuern darf oder im Zeitpunkt des Wegzugs auf bislang nicht realisierte, steuerverstrickte Wertsteigerungen zugreift. Mit Wegzugsbesteuerung verbindet man gemeinhin den letzten Punkt: Der Fiskus nimmt den Wegzug zum Anlass, stille Reserven im Vermögen des Wegziehenden zu besteuern (Schlussbesteuerung). Der Zugriff des Fiskus im Zeitpunkt des Wegzugs auf nicht realisierte Wertsteigerungen kann als Wegzugsbesteuerung im engeren Sinne (i. e. S.) bezeichnet werden, weil allein der Wegzug ins Ausland steuerauslösendes Tatbestandsmerkmal ist. Die einschlägigen steuerlichen Rechtsgrundlagen wurden zuletzt 2006 durch das „Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Aktiengesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften“ (SEStEG) wesentlich geändert. Grund für die Neuregelung der Rechtsgrundlagen waren zwei Punkte: Erstens sollen grenzüberschreitende Umwandlungen steuerneutral ermöglicht werden, sofern das deutsche Besteuerungsrecht nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird, zweitens soll die außensteuerrechtliche Regelung zur Wegzugsbesteuerung natürlicher Personen (§ 6 AStG) an die Vorgaben des EuGH in der Rechtssache „Lasteyrie du Saillant“ angepasst werden. Betroffen von der Wegzugsbesteuerung i. e. S. sind nach deutschem Steuerrecht Wertsteigerungen

  • in Anteilen an inländischen Kapitalgesellschaften (§ 6 AStG),
  • in Anteilen, welche zu einem Wert unter dem gemeinen Wert eingebracht worden sind, (§ 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 UmwStG) sowie
  • im Betriebsvermögen, sofern es durch den Wegzug ins Ausland verlagert und dadurch dem deutschen Steuerzugriff entzogen wird (§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, § 12 Abs. 1 KStG; früher: finale Entstrickungslehre). Auch die Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach § 1 Abs. 3 Sätze 8 ff. AStG gehören hierzu. Die Besteuerung des Gewinnpotentials anlässlich einer sog. Funktionsverlagerung wirkt wie eine Wegzugsbesteuerung, auch wenn sie steuersystematisch als Verrechnungspreiskorrektur verortet ist.

Die Besteuerung von nicht realisierten Wertsteigerungen anlässlich des Wegzugs ist nicht die einzige steuerliche Folge, die zu berücksichtigen ist. Zur Wegzugsbesteuerung im weiteren Sinne (i. w. S.) gehören

  • im Wegzugsjahr die besonderen Regeln zur Abschnittsbesteuerung und zum Tarif (§§ 2 Abs. 7 Satz 3 EStG, 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG) sowie

nach dem Wegzug ggf. die Regeln zur beschränkten Steuerpflicht nach Maßgabe des nationalen Rechts (§ 49 EStG, § 2 AStG, DBA).

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