Stille Reserven im Betriebsvermögen

A - Überblick

Eine Schlussbesteuerung als Rechtsfolge eines Wegzugs einer natürlichen Person kann sich nicht nur aus § 6 AStG ergeben. Weitere Rechtsgrundlage ist seit dem 13.12.2006 der durch das SEStEG eingeführte § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, wonach einer Entnahme der Ausschluss oder die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder Nutzung eines Wirtschaftsguts gleichsteht.

Durch das ATAD-Umsetzungsgesetz gilt dies auch in den Fällen, in denen die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts entfällt und in einem anderen Staat eine Besteuerung auf Grund des Ausschlusses oder der Beschränkung des Besteuerungsrechts dieses Staates hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung des Wirtschaftsguts erfolgt.

Gegenstand einer Schlussbesteuerung nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG in Wegzugsfällen können insbesondere solche Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens sein, welche im Falle des Wegzugs des Steuerpflichtigen nicht im Betriebsvermögen einer inländischen Betriebsstätte verstrickt bleiben.

Solches nicht in Betriebsstätten gebundenes Betriebsvermögen wird gemeinhin dem Ort der Geschäftsleitung zugeordnet. Zieht der Unternehmer ins Ausland, ohne seinen Betrieb vorher aufzugeben (sonst § 16 Abs. 3 EStG), verlagert sich regelmäßig der Ort der Geschäftsleitung ins Ausland. Das nicht in Betriebsstätten gebundene Betriebsvermögen verlagert sich ebenfalls ins Ausland und wird so im Grundsatz dem deutschen Besteuerungsrecht entzogen.

Ob und unter welchen Voraussetzungen in solchen Fällen eine Schlussbesteuerung erfolgen darf, ist kompliziert und umstritten. Zu unterscheiden ist zunächst die Rechtslage vor und nach dem SEStEG, also vor und nach dem 13.12.2006.

Vor dem SEStEG gab es keine gesetzliche Besteuerungsgrundlage, die ausdrücklich diesen Sachverhalt erfasste. Die Rechtsprechung nahm im Zeitpunkt des Wegzugs eine fiktive Betriebsaufgabe an. Sie entwickelte die sog. finale Betriebsaufgabelehre und besteuerte die stillen Reserven des Betriebs gem. § 16 Abs. 3 EStG, wenn im Inland keine Betriebsstätte verblieb. Wurden nur einzelne Wirtschaftsgüter dem inländischen Betriebsvermögen entzogen, wurden die stillen Reserven solcher Wirtschaftsgüter nach der sog. finalen Entnahmelehre besteuert. Im Schrifttum waren die finale Betriebsaufgabe- und Entnahmelehre umstritten (dazu nachfolgend B.).

Mit dem SEStEG vom 07.12.2006 hat der Gesetzgeber mit § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG die von der Rechtsprechung entwickelte finale Entnahme- und Betriebsaufgabetheorie gesetzlich verankert. Aber auch unter Anwendung dieser Norm sind durch die neuere BFH-Rechtsprechung wieder Streitfragen aufgetreten. Der BFH hat in Fällen zur Rechtslage „vor dem SEStEG“ die finale Entnahme-/Betriebsaufgabelehre irritierender Weise aufgegeben. Die neue Rechtsprechung ließ § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG ins Leere laufen, worauf der Gesetzgeber im Jahressteuergesetz 2010 reagierte. Als Reaktion auf die jüngste BFH-Rechtsprechung ist nunmehr durch § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG n. F. klargestellt, dass ein Ausschluss oder eine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts im Sinne des Satzes 3 insbesondere dann vorliegt, wenn ein bisher einer inländischen Betriebsstätte zuzuordnendes Wirtschaftsgut in eine ausländische Betriebsstätte des Steuerpflichtigen überführt wird (dazu nachfolgend C.).  

B - Finale Betriebsaufgabelehre

Die finale Betriebsaufgabelehre wurde zunächst durch die Rechtsprechung anhand verschiedener Fallgruppen entwickelt. Das Einkommensteuergesetz enthielt bis 2006 keinen Entstrickungstatbestand für Betriebsvermögensverlagerungen.

Fallbeispiel 15

Der BFH nahm für diesen Fall eine Betriebsaufgabe gem. § 16 Abs.  3 EStG an. In einer späteren Entscheidung präzisierte er diese Auffassung dahingehend, dass neben der Wohnsitzverlegung für die Gewinnrealisierung auch nötig sei, dass überhaupt Betriebsvermögen vorhanden ist, das in das Ausland verlegt wird. [1]

Fallbeispiel 16

Der BFH nahm auch in diesem Fall eine Betriebsaufgabe an.

Der BFH hatte in den Fällen der Geschäftsleitungs- und (Teil-) Betriebsverlegung ins Ausland den Betriebsaufgabebegriff in § 16 Abs. 3 EStG (und § 18 Abs. 3 EStG) extensiv ausgelegt und stets eine Betriebsaufgabe angenommen, wenn „der Betrieb als wirtschaftlicher Organismus zwar bestehen bleibt, aber durch eine Handlung bzw. einen Rechtsvorgang in seiner ertragsteuerlichen Einordnung so verändert wird, dass die Erfassung der stillen Reserven nicht gewährleistet ist“ [2]. Die Betriebsaufgabelehre führte zur Schlussbesteuerung von stillen Reserven gem. § 16 Abs. 3 EStG, um aus Sicht des deutschen Fiskus den letztmöglichen Zeitpunkt der Besteuerung zu erfassen. Sie war lange Zeit umstritten, weil sie nach Auffassung der h. L. eine Rechtsfortbildung contra legem darstellte. [3]

Der BFH hat sich (für die Rechtslage bis 2005) mittlerweile der Kritik angeschlossen und seine Rechtsprechung zur finalen Betriebsaufgabelehre ausdrücklich aufgegeben. [4] Mit Urteil vom 17.07.2008 hatte der BFH bereits seine Rechtsprechung zur finalen Entnahme für die Überführung von Einzelwirtschaftsgütern in eine ausländische Freistellungsbetriebsstätte aufgegeben. [5] Der BFH hat die Abkehr von seiner Rechtsprechung im Wesentlichen damit begründet, dass der deutsche Fiskus auch nach dem Wegzug die bereits im Inland entstandenen stillen Reserven im Realisationszeitpunkt nach §§ 1 Abs. 4 i. V. m. 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG besteuern könne. Dem stehe nach neuer Betrachtung des BFH auch abkommensrechtlich nicht Art. 7 OECD-MA entgegen, wonach die Unternehmensgewinne im Belegenheitsstaat besteuert werden, weil die abkommensrechtliche Abgrenzung der Betriebsstätteneinkünfte nicht tätigkeitsbezogen, sondern in einem wirtschaftlichen Sinne nach Verursachungsbeiträgen (sog. Veranlassungsprinzip) vorzunehmen sei. [6] Der Gewinn aus der Veräußerung eines ins Ausland überführten Wirtschaftsguts könne daher, soweit er auf stillen Reserven beruht, die „in Deutschland“ gebildet wurden, in Deutschland besteuert werden, da die wirtschaftliche Ursache des Gewinns – in Höhe der schon bei Überführung ins Ausland vorhandenen stillen Reserven – in Deutschland liege.

Auf diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber durch das Jahressteuergesetz 2010 reagiert, indem er den von der finalen Betriebsaufgabelehre erfassten Sachverhalt als Betriebsaufgabe fingiert. Nach § 16 Abs. 3a EStG steht nunmehr der Aufgabe des Gewerbebetriebs der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung sämtlicher Wirtschaftsgüter des Betriebs oder eines Teilbetriebs gleich; § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG gilt entsprechend. § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG erfasst ausdrücklich den Fall der Betriebsvermögensverlagerung von einer inländischen in eine ausländische Betriebsstätte des Steuerpflichtigen. Die Einkommensteuer/Körperschaftsteuer auf den durch eine fiktive Betriebsaufgabe ausgelösten Aufgabegewinn wird auf Antrag gem. § 36 Abs. 5 EStG zinslos gestundet, wenn die Wirtschaftsgüter einem Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen in einem anderen Mitgliedstaat der EU/EWR zuzuordnen sind und die Amtshilfe in Steuersachen sichergestellt ist.

C - Fiktive Entnahme

Allgemeines

Mit SEStEG vom 07.12.2006 hat der Gesetzgeber mit § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG einen gesetzlichen Ersatzrealisationstatbestand eingeführt, der gem. § 52 Abs. 8b EStG erstmals für Wirtschaftsjahre anzuwenden ist, die nach dem 31.12.2005 enden. [1] Mit der Regelung will der Gesetzgeber das Problem der abschließenden Erfassung stiller Reserven eines Wirtschaftsguts bei Verlassen der deutschen Steuerhoheit systematisch auf eine neue Grundlage stellen und umfassend lösen. [2] 

§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG hat nicht in erster Linie den Wegzug einer natürlichen Person im Blick, sondern den Fall, dass ein Wirtschaftsgut von einer inländischen Betriebsstätte in eine ausländische Betriebsstätte verlagert wird (nunmehr ausdrücklich § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG n. F.). Gleichwohl können auch Wegzugsfälle wie oben im Überblick dargestellt zu einer solchen Wirtschaftsgutsverlagerung führen. 

§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG fingiert – wie die finale Entnahmelehre – eine Entnahme für betriebsfremde Zwecke, wenn das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsguts ausgeschlossen oder beschränkt wird.

Die Regelung wirft eine Reihe schwieriger Zweifelsfragen auf und über den Anwendungsbereich im Einzelnen besteht Unsicherheit. [3]

Problematisch ist z.B. der weit gefasste Wortlaut, wonach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG auch die stillen Reserven von Wirtschaftsgütern einer ausländischen Anrechnungsbetriebsstätte erfasst, die beispielsweise in eine andere ausländische Freistellungsbetriebsstätte überführt werden. Im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Vorschrift ist zu erwägen, § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass nur die bis zum Überführungszeitpunkt in Deutschland entstandenen stillen Reserven erfasst sind.

Umstritten war ferner, ob die Urteile des BFH zur Aufgabe seiner Rechtsprechung zur finalen Entnahme und finalen Betriebsaufgabe auf § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG anzuwenden sind. [4] Der BFH hat dies offen gelassen. Wendet man allerdings die Kernaussage des Urteils konsequent auf die neue Gesetzeslage an, wäre für § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG kein Anwendungsbereich ersichtlich. Denn soweit nach den Maßstäben der neuen BFH-Rechtsprechung bei einer Verlagerung ins Ausland das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung aufgrund der neuen Auslegung des Art. 7 OECD-MA erhalten bleibt, wären die Tatbestandsvoraussetzungen von § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG zu verneinen. Nach den Urteilen des BFH könnten die inländischen stillen Reserven im Veräußerungszeitpunkt nach §§ 1 Abs. 4, 49 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) bzw. Nr. 3 EStG in Deutschland besteuert werden, wodurch § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG ins Leere liefe. 

Durch das Jahressteuergesetz 2010 hat der Gesetzgeber hierauf reagiert, indem er durch § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG n. F. nunmehr klarstellt, dass ein Ausschluss oder eine Beschränkung des Besteuerungsrechts im Sinne des Satzes 3 vorliegt, wenn der Steuerpflichtige ein Wirtschaftsgut von seiner inländischen Betriebsstätte in seine ausländische Betriebsstätte überführt. [5] Damit dürfte hinreichend klar gestellt sein, dass eine Wirtschaftsgutsverlagerung zwischen inländischer und ausländischer Betriebsstätte zur Entstrickung stiller Reserven führt. Mit Hinweis auf die neue BFH-Rechtsprechung lässt sich eine Entstrickung stiller Reserven nicht mehr vermeiden.

Ausschluss oder Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts

Im Hinblick auf eine Wohnsitz- und eine damit einhergehende (Teil-) Betriebs-/Betriebsstättenverlegung ins Ausland ist fraglich, unter welchen Voraussetzungen der Tatbestand von § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG erfüllt wird. Grundsätzlich ist die Vorschrift bei einem Wegzug einer natürlichen Person, wenn damit die Verlagerung von Wirtschaftsgütern verbunden ist, anwendbar. [6] Die Verlagerung müsste dazu führen, dass das Besteuerungsrecht Deutschlands hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der verlagerten Wirtschaftsgüter ausgeschlossen oder beschränkt wird.

Unproblematisch sind die Fälle, in denen anlässlich eines Wegzugs Wirtschaftsgüter körperlich über die Grenze in ein ausländisches Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen überführt werden. Die hiermit verbundenen Steuerfolgen werden von dem Steuerpflichtigen und dessen Berater in der Regel erkannt und ggf. in Kauf genommen.

In der Praxis schwieriger erkennbar und deswegen steuerlich riskanter sind solche Fälle, in denen Wirtschaftsgüter anlässlich eines Wegzugs gleichsam unerkannt und ungewollt mit über die Grenze verlagert werden. Problematisch sind in diesem Zusammenhang immaterielle Wirtschaftsgüter, die dem Ort der Geschäftsleitung zuzuordnen sind, wenn durch den Wegzug des Steuerpflichtigen zugleich der Ort der Geschäftsleitung ins Ausland verlegt wird.  
  

Fiktive Entnahme

Die Sofortbesteuerung nicht realisierter Wertsteigerungen gem. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG verstößt bei grenzüberschreitender Überführung von Wirtschaftsgütern des Privatvermögens innerhalb der EU/EWR gegen die Niederlassungsfreiheit aus Art. 43 EG/ Art. 49 AEUV. [7] In seinen Entscheidungen „Lasteyrie du Saillant“ und „N“ hat der EuGH das Konzept der Sofortbesteuerung auf Missbrauchssachverhalte beschränkt und die Stellung von Sicherheiten für den Steueranspruch für unverhältnismäßig angesehen. [8] Zulässig im Rahmen der Niederlassungsfreiheit sind danach lediglich Maßnahmen zur Sicherung der Besteuerung von stillen Reserven. [9]  Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber nur für die im Privatvermögen gehaltenen Anteile an Kapitalgesellschaften (s.o. Seiten 63 ff. Ausführungen zu § 6 Abs. 5 AStG.)

Für Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens hat der Gesetzgeber durch § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG das Sofortbesteuerungskonzept beibehalten. Zur Abmilderung der Besteuerungswirkung besteht unter den Voraussetzungen des § 4g EStG für (unbeschränkt) Steuerpflichtige die Möglichkeit, im Jahr der Verlagerung den Gewinn aus der Aufdeckung der stillen Reserven teilweise zu neutralisieren. Danach kann ein steuerlicher Ausgleichsposten gebildet werden, der im Jahr seiner Bildung und den folgenden vier Jahren jeweils zu einem Fünftel aufzulösen ist. § 4g EStG bewirkt wirtschaftlich eine zinslose Stundung.

Die gesetzliche Regelung nach § 4g EStG ist strenger als die alte Verwaltungspraxis nach dem Betriebsstättenerlass. [10] Nach dem Betriebsstättenerlass durfte bei einer Verlagerung von Wirtschaftsgütern in eine ausländische Betriebsstätte die Besteuerung der stillen Reserven für einen Zeitraum von bis zu 10 Jahren hinausgeschoben werden. Anders als § 4g EStG, der nur für Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens gilt, ließ der Betriebsstättenerlass die Stundung auch für solche des Umlaufvermögens zu.

Der Steuerpflichtige kann für die stillen Reserven einen Ausgleichsposten bilden, soweit das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung des Wirtschaftsguts zugunsten eines Staates im Sinne des § 36 Abs. 5 Satz 1 EStG beschränkt oder ausgeschlossen wird (§ 4 Abs.1 Satz 3 EStG). Staaten im Sinne von § 36 Abs. 5 S. 1 EStG sind solche der EU und des EWR, in denen der Stpfl. Betriebsvermögen hat und die Wirtschaftsgüter des Stpfl. diesem Betriebsvermögen zugeordnet werden.

Tritt hingegen nach der Bildung des Ausgleichspostens zwischenzeitlich ein Umstand ein, der zu einer Gewinnrealisierung führt, ist der (verbleibende) Ausgleichsposten sofort vollständig gewinnerhöhend aufzulösen. [11] Nach § 4g Abs. 2 Satz 2 EStG ist dies der Fall, wenn ein Ereignis im Sinne des § 36 Abs. 5 Satz 4 EStG eintritt.

Die noch nicht entrichtete Steuer wird innerhalb eines Monats,

  1. soweit ein Wirtschaftsgut im Sinne des Satzes 1 veräußert, entnommen, in andere als die in Satz 1 genannten Staaten verlagert oder verdeckt in eine Kapitalgesellschaft eingelegt wird,
  2. wenn der Betrieb oder Teilbetrieb während dieses Zeitraums eingestellt, veräußert oder in andere als die in Satz 1 genannten Staaten verlegt wird,
  3. wenn der Steuerpflichtige aus der inländischen unbeschränkten Steuerpflicht oder der unbeschränkten Steuerpflicht in den in Satz 1 genannten Staaten ausscheidet oder in einem anderen als den in Satz 1 genannten Staaten ansässig wird,
  4. wenn der Steuerpflichtige Insolvenz anmeldet oder abgewickelt wird oder
  5. wenn der Steuerpflichtige seinen Verpflichtungen im Zusammenhang mit den Ratenzahlungen nicht nachkommt und über einen angemessenen Zeitraum, der zwölf Monate nicht überschreiten darf, keine Abhilfe für seine Situation schafft; Satz 2 bleibt unberührt.

Strittig ist ferner, ob § 4g EStG die Europarechtswidrigkeit von § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG vermeidet. Diese Frage hätte man bis zur Entscheidung des EuGH [12] in der Rechtssache DMC wohl verneint. [13] Denn trotz des Ausgleichspostens bewirkt § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG eine Sofortbesteuerung insoweit, als dass ein Fünftel der Wertsteigerung sofort im Jahr des Wegzugs und die weiteren vier Fünftel verteilt über die Jahre zwei bis fünf besteuert werden, unabhängig vom Zeitpunkt der Realisierung der Wertsteigerung. Die Sofortbesteuerung widerspricht indes den Grundsätzen der Lasteyrie-du-Saillant-Entscheidung des EuGH.

An dieser Beurteilung änderte auch zunächst die neuere EuGH-Rechtsprechung nichts, die dem Gesetzgeber zunächst größeren Spielraum einräumte, zum Zweck der internationalen Gewinnabgrenzung und zur Sicherung des nationalen Besteuerungsrechts „wegziehende“ stille Reserven in Sitzverlegungsfällen zu besteuern. Rechtfertigungsgrund ist die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten.

In der Rechtssache National Grid Indus [14] hat der EuGH entschieden, dass kein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit vorliegt, wenn eine Gesellschaft aus einem EU-Mitgliedstaat (Herkunftsstaat) ihren Verwaltungssitz in einen anderen EU-Mitgliedstaat verlegt und der Herkunftsstaat dies zum Anlass nimmt, Steuern auf die wegziehenden stillen Reserven festzusetzen, sofern dem Steuerpflichtigen auf Wunsch Steuerstundung gewährt wird. Die Besonderheit dieses Urteils ist darin zu sehen, dass der EuGH – abweichend von seinen Entscheidungen in den Rechtssachen Lasteyrie du Saillant und „N“ betreffend den Wegzug natürlicher Personen – es für gemeinschaftsrechtskonform hält, wenn der Herkunftsstaat die Steuerstundung von der Stellung von Sicherheiten durch den Steuerpflichtigen (Tz. 74, a. a. O.) und von einer Verzinsung (Tz. 73, a. a. O.) abhängig macht. Auch sei der Herkunftsstaat nicht verpflichtet, die Steuerfestsetzung zu ändern, wenn sich nach dem Wegzug herausstelle, dass die tatsächlich realisierten stillen Reserven höher oder niedriger als die der Steuerfestsetzung zugrunde liegenden stillen Reserven sind (Tz. 64, a. a. O.). 

Diese Rechtsprechung bestätigte der EuGH durch sein Urteil in der Rechtssache Portugal, wobei er – anders als im Urteil National Grid Indus– das Recht des Mitgliedstaates, auf die gestundeten Steuerbeträge Zinsen zu erheben, lediglich als obiter dictum (Tz. 32, a. a. O.), und das Recht, die Stundung von Sicherheitsleistungen abhängig zu machen, überhaupt nicht erwähnt. [15]

Durch das Urteil in der Rechtssache DMC [16] ist nunmehr in den Sitzverlegungsfällen auch die Sofortbesteuerung mit Gewährung von Ratenzahlung zur Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten gerechtfertigt, da „die Staffelung der Zahlung der vor der tatsächlichen Realisierung der stillen Reserven geschuldeten Steuer in fünf Jahresraten in Anbetracht des mit der Zeit steigenden Risikos der Nichteinbringung“ angemessen und verhältnismäßig sei (Tz. 62, a.a.O.). Damit steht den Mitgliedstaaten neben der Gewährung von Steuerstundung auch die Ratenzahlung als angemessenes Mittel zur Sicherung des Steueranspruchs zur Verfügung. Auch für den Fall der Ratenzahlung stellt der EuGH klar, dass die Gewährung von Ratenzahlung in Abhängigkeit des Nichteinbringungsrisikos von der Stellung von Sicherheiten abhängig gemacht werden darf.

Der EuGH hat diese Rechtsprechung mittlerweile mehrfach bestätigt. Durch seine Entscheidung in der Rechtssache Verder Lab Tec hat der EuGH die Verhältnismäßigkeit der gestaffelten Besteuerung stiller Reserven über zehn Jahre (nach Ziffer 2.2.1. des alten Betriebsstättenerlasses) bejaht. [17]

Die Abweichung der Rechtsprechungsserie DMC, National Grid Indus, Portugal I, Verder Lab Tec von der Lasteyrie-du-Saillant-Doktrine ließ sich dadurch erklären, dass DMC u.a. Kapitalgesellschaftsanteile im Betriebsvermögen, Lasteyrie-du-Saillant dagegen im Privatvermögen betreffen. Es ist indes zweifelhaft, ob der EuGH diese – für das deutsche Einkommensteuerrecht prägende – Differenzierung tatsächlich vor Augen hatte. Jedenfalls scheint diese Differenzierung als Erklärung nicht mehr zu taugen. Der EuGH hat durch das Urteil Portugal II die DMC-Rechtsprechung mittlerweile auch auf die Besteuerung von stillen Reserven in Anteilen an Kapitalgesellschaften anlässlich des Wegzugs natürlicher Personen ausgeweitet. [18] Im Widerspruch hierzu steht wiederum die – überraschende – Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Wächtler, durch die der EuGH die Lasteyrie-du-Saillant-Doktrine für den Wegzug natürlicher Personen in die Schweiz anwendet. [19]

Dies hat der deutsche Gesetzgeber zum Anlass genommen § 6 AStG mit Wirkung ab 2022 wieder zu verschärfen. [20]

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