ANALYSE: MOBILITÄT
Abschied nehmen von Auspuff und Steuer
Autonomes Fahren, Elektrifizierung, Nachhaltigkeit – wie die Automobilbranche für die Umbrüche gerüstet ist und warum dieser Wandel nicht nur von der technologischen Entwicklung abhängt.
Könnte im Jahr 2030 schon jedes zehnte Auto in Deutschland autonom unterwegs sein? Die Prognose, die vor einigen Jahren ausgegeben wurde, wirft viele Fragen auf. In welchen Situationen und auf welchen Straßen kann und darf das Auto sich selbst fahren? Welche Fahrzeuge und Modelle kommen dafür überhaupt in Frage? Und was genau heißt eigentlich autonomes Fahren?
Wie die Autobranche Innovationen rund um Robo- und E-Autos sowie die Herausforderungen nachhaltigen Wirtschaftens angeht, legten auf dem Wirtschaftsforum Vertreter alteingesessener wie junger Konzerne dar. Von BMW gekommen war Uwe Holzer, Leiter des Vertriebs an Flotten-, Direkt- und Sonderkunden im Markt Deutschland, von Mercedes wiederum Jörg Heinermann, Vorsitzender der Geschäftsleitung des Mercedes-Benz Cars Vertriebs Deutschland (MBD) und Leiter des Mercedes-Benz Vertriebs Deutschland. Als eine Art Vermittler zwischen Ost und West trat Isbrand Ho auf, Senior Advisor des chinesischen Batterieherstellers BYD und bis vor kurzem Europa-CEO der BYD Auto Company, einem der größten Automobilproduzenten Chinas. Vor zwölf Jahren nahm der Konzern den europäischen Markt ins Visier und startete den Vertrieb von Elektrobussen in Großbritannien.
Egal ob alteingesessene Marke oder neuer Konzern, in Deutschland verwurzeltes Unternehmen oder Importeur – Innovation ist weit mehr als die Einführung einer neuen Technologie, wie die Referenten klarstellten. Es geht immer auch um die kulturellen und gesellschaftlichen Veränderungen außen herum. In einer Zeit, in der sich vieles in der digitalen Welt abspielt, soziale Netzwerke Live-Erlebnisse trotz räumlicher Distanz ermöglichen und der Videocall manche Geschäftsreise ersetzt, wird es künftig immer weniger selbstverständlich, sich physisch von A nach B fortzubewegen und die Reisezeit in Kauf zu nehmen.
Nach Einschätzung der Referenten wachsen die Anforderungen an die Ausgestaltung und Optimierung der Fahrzeuge, zumal, wenn diese zunehmend autonom unterwegs sein werden. Es geht also nicht nur um den Antriebsstrang, sondern auch um den Erlebnischarakter, um die Optionen für Entertainment, Arbeiten, Entspannen. Generell gelte: Der Autokauf ist nicht nur eine pragmatische Entscheidung, vielmehr spielt für viele Konsumenten auch der emotionale Wert oder die Botschaft einer Marke sowie einer Technologie eine zentrale Rolle.
Hybrid, elektrisch, Wasserstoff?
Beim Thema Nachhaltigkeit wurde für einen ganzheitlichen, technologieoffenen Ansatz plädiert. Wer die Umweltprobleme auf der Welt ernst nehme, müsse sich die gesamte Lieferkette anschauen und dabei den „CO2-Rucksack“ berücksichtigen statt nur den Antrieb selbst oder die Nutzungsphase des Fahrzeugs. Überspitzt formuliert: Ein E-Auto sei nicht alleine durch die Tatsache nachhaltiger, dass es keinen Auspuff habe. Bei einem solchen ganzheitlichen Ansatz sei es geboten, die verschiedenen Optionen unter Berücksichtigung des jeweiligen Forschungsstands abzuwägen – von Plug-in-Hybriden über vollelektrische Autos bis hin zu wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen im Lkw-Bereich. Mit der Weiterentwicklung der Antriebssysteme – die Reichweite nimmt zu, neue Batterien haben nur noch die Größe von Red-Bull-Dosen – nähme dann auch die Marktreife und die Akzeptanz beim Kunden zu.
Die Referenten verwiesen zudem darauf, dass die Einführung von Innovationen in der Regel nicht gleichmäßig, sondern nahezu exponentiell ablaufe. Während sich in einer ersten Phase nach der Markteinführung scheinbar wenig tue und dies leicht zu Fehlprognosen führe, beschleunige sich der Wechsel in der zweiten Phase des Umbruchs dann massiv. Das sei bei der Verbreitung des Automobils zu Anfang des 20. Jahrhunderts genauso zu beobachten gewesen wie beim Siegeszug der Smartphones hundert Jahre später. Wer angesichts der mangelnden Infrastruktur von Ladestationen oder den behördlichen Schwierigkeiten beim autonomen Fahren skeptisch sei, könne sich beispielsweise vor Augen halten, dass auch Tankstellen nicht von einem Tag auf den anderen in Betrieb gegangen seien. Die Geschichte zeige: Innerhalb kurzer Zeit ist die innovative Technologie dann selbstverständlich und lässt die vorherige schnell alt aussehen.
Die Referenten ließen vor diesem Hintergrund keinen Zweifel am künftigen Erfolg autonomer Fahrzeuge. In die Technologie werde derzeit massiv investiert. Die Entwicklung sei praktisch unaufhaltsam, auch wenn sich noch nicht prognostizieren lasse, wann oder wo, in welchen Fahrzeugen oder für welche Kundengruppen die Innovation zuerst volle Verbreitung finde. Die Akzeptanz beim Kunden sei nur eine Frage der Zeit, sobald dieser ein ausgereiftes System selbst ausprobiert und sich beim Zurücklehnen im Fahrersitz von seiner Verlässlichkeit überzeugt habe.
Schon jetzt die Hände vom Lenkrad nehmen
Darüber hinaus habe man es mit einem allmählichen Prozess der Einführung zu tun. Beim hochautomatisierten Fahren (Level 3) können Autofahrer in Deutschland inzwischen die Hände vom Lenkrad nehmen und die Aufmerksamkeit zeitweise vom Verkehrsgeschehen abwenden. Das Fahrzeug übernimmt vorübergehend die vollständige Fahraufgabe, etwa bei hohem Verkehrsaufkommen auf deutschen Autobahnen. Auch wenn die Technologie des autonomen Fahrens bereits jetzt sehr weit fortgeschritten und in vielen Situationen verlässlicher sei als ein Mensch am Steuer, spielten bei der Einführung weitere Faktoren eine wichtige Rolle.
Neben dem gesetzlichen Rahmen sei dies zum einen die gesellschaftliche Debatte – wie wird ein Unfall mit Todesfolge aufgenommen, in dem ein E-Fahrzeug verwickelt ist? Zum anderen müsse aber auch der Qualitäts- und Sicherheitsanspruch der Automobilkonzerne selbst berücksichtigt werden – bei dem es nicht zuletzt darum geht, mögliche Anwendungsfehler durch den Fahrer auszuschließen.
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