CHINA

Beziehungsstatus: Es ist kompliziert

Partner von Kriegsland Russland, schwer einzuschätzender Akteur im Taiwan-Konflikt, Investor in Hamburgs Hafen - wie umgehen mit dem asiatischen Handelsriesen? in der Debatte auf dem Forum NEU DENKEN fanden hochkarätige Vertreter der Wirtschaft keine einfachen, aber umso fachkundigere Antworten

Das Stichwort China löst sehr unterschiedliche Assoziationen aus, und mit der Corona-Krise sowie dem Ukraine-Krieg ist das Verhältnis Deutschlands zu dem asiatischen Riesen noch zwiespältiger geworden. Zuletzt sorgte die Nachricht, dass der chinesische Staatskonzern Cosco 24,9 Prozent am Hamburger Containerterminal Tollerort übernehmen werde, für kontroverse Debatten. 

Angstgegner oder Partner? So lautete denn auch die Frage an die Experten beim Wirtschaftsforum NEU DENKEN. Über das Thema diskutierten Angela Titzrath, CEO der HHLA Hafen Hamburg, Werner Baumann, Ex-CEO der Bayer AG, Simone Menne, Präsidentin der American Chamber of Commerce in Germany, Dr. Herbert Diess, Aufsichtsratsvorsitzender von Infineon, sowie Frank Sieren, Bestseller-Autor aus Peking. Online zugeschaltet wurde zudem Joerg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer China. auch der frühere Bundesminister Peer Steinbrück und Karoline Edtstadler, Bundesministerin für EU und Verfassung in Österreich, analysierten die geopolitische Lage

Auch wenn die Gesprächsteilnehmer unterschiedliche Standpunkte vertraten, wie selbstbewusst Deutschland im Miteinander mit China die eigenen Werte hochhalten sollte, herrschte Einigkeit über die Bedeutung des Landes für die Bundesrepublik. Aus ihr ergebe sich eine zwiespältige Beziehung, die immer wieder ausbalanciert werden müsse und mittels Schwarz-Weiß-Denken nicht zu erfassen sei.  China ist demnach einerseits Partner auf Augenhöhe, was man sich täglich erarbeiten müsse, andererseits aber auch Wettbewerbsrivale - ein Dilemma, das sich nicht auflösen, sondern nur managen lasse. 

Die wirtschaftlichen Aspekte schaffen zunächst einmal Fakten. China ist der größte Handelspartner der Bundesrepublik. Die deutsche Wirtschaft ist international stark verwoben in einem Kontext der Globalisierung, die sich trotz der Autarkie-Debatten nach Corona als robust erweist und nicht an Bedeutung verlieren werde. Eine "Deglobalisierung" findet nicht statt, auch wenn bei der Gestaltung der internationalen Lieferketten nun nicht mehr nur Effizienz, sondern verstärkt auch Resilienz etwa in Form einer verstärkten Bevorratung im Vordergrund steht.

Im Gespräch (von links nach rechts): Frank Sieren - Bestseller-Autor, Simone Menne - Präsidentin der American Chamber of Commerce in Germany, Dr. Herbert Diess - Aufsichtsratsvorsitzender von Infineon, Werner Baumann - Ex-CEO Bayer AG, Angela Titzrath - Vorstandsvorsitzende  HHLA und Sabine Christiansen - TV21

Auch wenn der Handelssaldo zunehmend negativ sei, also verstärkt nach Europa importiert wird, profitieren beide Seiten von der engen Verflechtung. Für die deutsche Automobilbranche ist der Standort China von existenzieller Bedeutung, und es gebe noch viel mehr Potenzial für Investitionen in dem asiatischen Land, wie bei der Debatte betont wurde. Ein großer Teil der in der deutschen Industrie benötigten chemischen Vorstoffe kommt aus China. Das Land hält inzwischen rund 18 Prozent an der Weltwirtschaft, wächst zweimal so schnell wie die USA - und würde die Wirtschaft Chinas nicht mehr wachsen, wäre das auch ein Problem für alle Handelspartner.

Hinzu kommt, dass sich das asiatische Land mit anderen aufstrebenden Volkswirtschaften in der Welt immer stärker zusammentut, Stichwort BRICS-Staaten, zu denen neben China auch Brasilien, Russland, Indien und Südafrika gehören. Mit ihnen wächst ein wirtschaftliches Gegengewicht zu den G7-Staaten, und es zeichnet sich eine neue Front zwischen ihnen und den Aufsteigern im Süden ab. Wie sehr diese Entwicklung auch politische Relevanz hat, zeigt sich aktuell im Krieg in der Ukraine: China ist mit seiner Haltung, mit Russland nicht zu brechen, global in bester Gesellschaft. 

Was folgt daraus nun für die deutsche Asien-Politik? Die "Klappe halten" und "machen, was die Chinesen wollen"? Diese Frage beantworteten die Teilnehmer der Debatte zwar mit Nein, Aber klar sei auch: Die Minderheit des Westens könne die Spielregeln der Welt nicht mehr bestimmen. Länder könnten nicht mehr zu dem gezwungen werden, was der Westen für "gut und richtig" halte. Ohnehin dürfe man nicht glauben, dass die Probleme Europas auch die Probleme der Welt seien. 

Angesichts dieser neuen Situation brauche es mehr Verständnis für die Sichtweisen anderer Länder und darüber hinaus eine neue Strategie, bei der die eigenen Interessen neu definiert würden, zudem dafür passende Partner gesucht würden und verstärkt überzeugt statt der moralische Zeigefinger erhoben müsse. Das Narrativ des moralisch Überlegenen habe man längst verloren, wie die Gemengelage im Ukraine-Krieg zeige. 

Gerade auch die wirtschaftliche Stärke sei ein wichtiges Mittel, um beim Vertreten der eigenen Werte gehört zu werden. Um den "European Way of Life", also Demokratie, Rechtsstaat und Freiheitsrechte abzusichern, müsse man ein starkes Europa mit einem deutschen Leadership schmieden und dafür die nötigen Reformen im Binnenmarkt sowie in der Sicherheitsstruktur angehen. Die EU müsse ihre Probleme lösen statt sie nur zu "sammeln".

Wenn man es schaffe, wirtschaftlich nicht zurückzufallen, müsse man keine Angst vor China haben. In einem solchen Kontext seien die wirtschaftlichen Verflechtungen dann auch keine Abhängigkeiten, sondern Verbundenheiten, die es erleichtern könnten, Konflikte in der Welt zu lösen und globale Probleme wie den Klimawandel gemeinsam anzugehen. 

In diesem globalen Kontext wird die Debatte um die Cosco-Beteiligung in Hamburg - es geht um ein Containerterminal, nicht um den Hafen selbst - zu einem Aspekt, der zwar einerseits eine plakative Anekdote darstelle, andererseits aber die Wichtigkeit zeige, das Verhältnis mit China immer wieder auf den Prüfstand zu stellen und zu debattieren. Wie die Diskussionsteilnehmer darlegten, sind derartige Investitionen weltweit gang und gäbe, wie auch das Engagement deutscher Reedereien in China oder konkret eine Mehrheitsbeteiligung von Cosco in Los Angeles zeigten.

Wie entwickelt sich der Taiwan-Konflikt?

Frank Sieren - Bestseller-Autor, Simone Menne - Präsidentin der American Chamber of Commerce in Germany und Dr. Herbert Diess - Aufsichtsratsvorsitzender von Infineon

Vor allem aber im weiter schwelenden Taiwan-Konflikt mahnen die Redner zu einer nüchternen Analyse. Wie wahrscheinlich ist es, dass China, das die 23 Millionen Einwohner zählende Inselrepublik als Teil der Volksrepublik ansieht, am Ende militärisch vorgehen könnte? 

Zunächst dürfe man keine leichtfertigen Vergleiche mit dem Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine ziehen. Russland sei wirtschaftlich im 20. Jahrhundert stehen geblieben, Putin handle irrational. Taiwan hingegen sei durch seinen weltweit strategisch wichtigen Standort als Hersteller von Computerchips in einer ganz anderen Situation als die Ukraine und verfüge damit über eine Art "Lebensversicherung". So wurde in der Debatte einerseits betont, dass eine Aggression gegenüber Taiwan nicht im Interesse Chinas sei und man sich von der Rhetorik politischer Spitzen nicht täuschen lassen dürfe. Andererseits wurde darauf verwiesen, dass man niemals ausschließen dürfe, dass Staatenlenker, die möglicherweise in die Geschichtsbücher eingehen wollten und die historische Größe eines Landes vor Augen hätten, von einer ganz eigenen Logik gesteuert würden. Auch wenn Prognosen schwierig seien, müsse man sich politisch auf alle Szenarien einstellen, die - früher oder später - eintreten könnten - eine Einschätzung, die pessimistischer ausfällt als noch auf dem Forum NEU DENKEN im Vorjahr. 

Zu einer realistischen Einschätzung der Lage gehöre auch zu akzeptieren, dass China nicht mit Russland brechen werde, sondern vielmehr die Krise dieser "Zweckehe" ausstehen wolle. Das habe zum einen geopolitische, zum anderen aber auch energiewirtschaftliche Gründe - China sei auf russisches Gas angewiesen, um von der Kohle wegzukommen. Besonderes Augenmerk verdienten darüber hinaus die langfristigen Bemühungen des Landes, das Welt-Finanzsystem zu transformieren und eine Alternative zum Dollar als Leitwährung zu schaffen. 

Innerhalb dieser Rahmenstrukturen müsse die Politik nun ins Handeln kommen und prüfen, welche Verhandlungsspielräume es gebe. Als Vorbild für die nötige Flexibilität im Verhältnis mit dem asiatischen Land wurden die inzwischen "wachgerüttelten" USA genannt. Einerseits verhängt die US-Regierung Sanktionen in sensiblen Bereichen wie beispielsweise hochmodernen Halbleitern und stärkten so die eigene Wettbewerbssituation. Andererseits machen Unternehmen in den USA intensiv Geschäfte mit China - ein Balance-Akt, den auch Deutschland vollführen müsse.

Und auch in einem ganz anderen Bereich wurden die USA als Vorbild für die Bundesrepublik genannt - im Fall des Inflation Reduction Act, einem Gesetz, das der hohen Inflation entgegenwirken und den Klimaschutz vorantreiben soll. Im Gegensatz zu EU-Förderprogrammen gewähre die US-Regierung Subventionen weit unbürokratischer. Zwar werde die Reduzierung von CO2-Emissionen ebenfalls als Bedingung für die Vergabe von Subventionen vorgegeben, doch könnten die Unternehmen freier entscheiden, auf welche Weise dies geschehen soll.

Wenn man es schaffe, wirtschaftlich nicht zurückzufallen, 

müsse man keine Angst vor China haben. 


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